--- title: 'Bargeld und Geschwurbel' date: '2017-02-14' description: tags: ['Bankomat', 'Bargeld', 'Belgien', 'Einkauf', 'EU', 'EZB', 'Finnland', 'Gebühr', 'Geldwäsche', 'Irland', 'Karte', 'Kartenzahlungen', 'Kreditkarte', 'Kriminelle', 'Münzen', 'Niederlande', 'Noten', 'Organisation', 'Regierung', 'Scheine', 'Schweiz', 'Staat', 'Transaktion', 'Währung', 'Wert', 'Zahlungsmittel'] --- *Dieser Artikel wurde für das [Blog von David Schlegl] (http://blog.davidschlegl.at/kumis-hirnkotze-bargeld-und-geschwurbel/) erstellt. Der dort veröffentlichte Text kann abgeändert worden sein.* ["Bargeld abschaffen?"](http://blog.davidschlegl.at/bargeld-abschaffen/) - Diese Frage wird in einem Artikel gestellt, der vor einigen Tagen an dieser Stelle veröffentlicht wurde. Die viel wichtigere Frage, die leider unbeantwortet bleibt, lautet allerdings: Wie kommt man überhaupt erst auf die Idee, dass jemand das Bargeld abschaffen will? Immerhin ist es die einfachste und unbürokratischste Möglichkeit, kleine Transaktionen abzuwickeln. Tatsächlich geistert der Mythos, irgendjemand - die EU, die Grünen, die Illuminaten - wolle Münzen und Scheine aus dem Verkehr ziehen, damit nur noch mit Karte gezahlt werden könne, immer wieder einmal durch die sozialen Medien, allerdings in ähnlichen Kreisen, in denen auch vor Gedankenmanipulation durch Flugzeug-Kondensstreifen gewarnt und behauptet wird, die Bundesrepublik Deutschland sei eine GmbH. Meistens ist es einer von zwei Anlässen, nach denen solche Gerüchte gestreut werden. Zunächst wäre da die Diskussion über die Abschaffung von Ein- und Zwei-Cent-Münzen. 2013 stellte EU-Währungskommissar Olli Rehn fest, dass die Produktionskosten dieser Münzen ihren Wert übersteigen. Dabei sind sie aber auch die Münzen, von denen die meisten Exemplare angefertigt werden müssen - sie machen, Stand Dezember 2016, gemeinsam etwa 48% der Umlaufmenge an Euromünzen aus, aber nur drei Prozent des Gesamtwerts. Die Herstellung ist also ein enormes Verlustgeschäft. Zugleich hält sich der Nutzen dieser Münzen in sehr engen Grenzen. Kaum jemand würde sich wohl um eine Ein-Cent-Münze bücken, wenn er sie auf der Straße herumliegen sähe. Die im erwähnten Artikel aufgestellte These, die aktuelle Irrelevanz dieser Münzen habe irgendetwas mit der Inflation zu tun, ist dabei natürlich völlig aus der Luft gegriffen - damit die Inflation auf den Wert so kleiner Denominationen einen spürbaren Einfluss hätte, müsste sie seit der Einführung der Münzen mehrere hundert Prozent betragen. Vielmehr haben diese Münzen niemals einen Sinn gehabt. Finnland hat das erkannt und von Beginn an auf die Ausgabe von Ein- und Zwei-Cent-Münzen verzichtet. Auch in den Niederlanden (seit 2004) und Irland (seit 2015) werden diese Münzen nicht mehr verwendet und Kaufbeträge entsprechend auf- oder abgerundet. In Belgien können Unternehmen seit 2014 freiwillig dasselbe System anwenden. Und das hat für sie natürlich auch Vorteile: Immerhin verlangen Banken durchaus hohe Gebühren für Münzeinzahlungen, die sich bei großen Mengen an relativ wertlosen Münzen sehr schnell summieren. Wie solche Überlegungen allerdings dazu führen, dass Menschen um ihr Bargeld bangen? Schwer zu sagen. Auch aktuell wird gerne wieder der Teufel der Bargeldabschaffung an die Wand gemalt. Hintergrund: Das Auslaufen der 500-Euro-Scheine, von denen seit 2014 keine neuen Exemplare mehr gedruckt werden. Begründet wird dies gerne damit, dass die großen Scheine hauptsächlich zum Zwecke der Geldwäsche verwendet werden. Ganz schlüssig ist diese Argumentation nicht, denn was genau Kriminelle davon abhalten soll, stattdessen eben kleinere Scheine oder andere Währungen oder Zahlungsmittel zu verwenden, wird nicht wirklich erklärt. Jedenfalls schätzte die britische Regierung im Jahr 2013, dass 90% der dort im Umlauf befindlichen Fünfhunderter im Besitz von kriminellen Organisationen seien. Die Frage, ob die Existenz dieser violetten Noten irgendeinen Mehrwert mit sich bringt, ist wohl ohnehin zu verneinen. Für alltägliche Einkäufe und dergleichen sind sie absolut unbrauchbar, weil viel zu groß, und größere Geschäfte werden heutzutage schon aus Sicherheitsgründen anders abgewickelt. Das spiegelt sich auch darin wider, dass kaum eine andere Währung über vergleichbar große Stückelungen verfügt. Einzig die Schweiz mit ihrem Tausend-Franken-Schein dürfte unseren Fünfhunderter noch im Wert übertreffen. Gäbe es diese Scheine nicht, würde auch niemand ihre Einführung fordern; dass in der neuen Generation der Euro-Noten darauf verzichtet wird, ist nun wirklich kein Skandal. Dabei verlieren die alten Noten keinesfalls ihren Wert - gemeinsam mit den anderen Scheinen der alten Serie bleiben sie noch jahrelang als Zahlungsmittel gültig und können danach auch zeitlich unbegrenzt umgetauscht werden. Wer seine Polster gern mit großen Scheinen ausstopft, wird dies also weiterhin bedenkenlos tun können. Und wer darauf besteht, sein Auto unbedingt mit Bargeld kaufen zu müssen, muss eben ein paar Scheine mehr einpacken. Im zitierten Artikel werden nebenbei auch noch andere Themen angeschnitten - die Transaktionsgebühren für Kartenzahlungen, die auf Produktpreise zugeschlagen werden, beispielsweise. Unerfindlich, woher die dort erwähnten "3-5 Prozente" kommen sollen - übliche Gebühren für Kreditkartenzahlungen liegen heute unter zwei Prozent, für Bankomatkartenzahlungen sogar teils weit unter einem Prozent. Und dabei wird auch ignoriert, dass der Umgang mit Bargeld ebenso Kosten und Risiken verursacht, wodurch sich die Gebühren für Kartentransaktionen relativieren. "Einheitliche und klare Spielregeln" werden gefordert, falls das Bargeld tatsächlich abgeschafft werde, damit wir nicht zu gläsernen Menschen werden. "Die EU oder der Staat" können diese Regeln allerdings nicht erfolgreich festlegen - das sei, ohne nähere Begründung, "von Beginn an klar". Dieselbe EU, die mit der Datenschutzgrundverordnung endlich ein einheitliches Schutzniveau in Europa geschaffen hat, oder durch die EZB überhaupt den Geldverkehr steuert. Letztere wird kritisiert, weil ihre Niedrigzinspolitik dazu führe, dass niemand mehr Bargeld haben wolle. Dabei ist eine Niedrig- oder gar Negativzinsumgebung erst ein Anreiz dazu, Geld aus den Banken zu nehmen oder gar Kredite aufzunehmen um Investitionen zu tätigen - bei hohen Zinsen würde es sich ja stattdessen rentieren, Geld am Konto zu haben. Auch im restlichen Beitrag wird viel geschwurbelt - im einen Satz sollen Leasingverträge "so um die 5-10 Prozent" teurer als Barzahlungen sein, im nächsten wird festgestellt, dass "Produkte heutzutage sogar für Barzahler teurer als mit Leasingverträgen" seien. Und es werden mehr Behauptungen ohne jeden Beleg in den Raum gestellt, etwa, dass man in einer Woche beim Einkaufen 10 Euro verliere, wenn man das Wechselgeld nicht prüfe, was natürlich jeder faktischen Grundlage entbehrt. Außerdem wird kritisiert, dass etwa Fahrscheine online nur mit Kreditkarte gekauft werden können - dabei steigt allgemein die Akzeptanz von Online-Überweisungen, bekannt unter Namen wie EPS, SOFORT-Überweisung oder Skrill. Und dann gibt es da noch anonyme Zahlungsmittel, von Prepaid-Kreditkarten bis zu Bitcoin, die überhaupt unerwähnt bleiben. Von der Vorbereitung einer bargeldlosen Gesellschaft seitens der Eurozone mag indes überhaupt keine Rede sein. Stattdessen wird in neue, beständigere und fälschungssicherere Noten investiert. Die Fünf-, Zehn- und Zwanzig-Euro-Scheine der zweiten Serie sind bereits im Umlauf, ab kommenden April werden die neuen Fünfziger ausgegeben, Hunderter und Zweihunderter folgen 2018. Und die Relevanz des Bargelds ist auch der Europäischen Zentralbank mehr als bewusst, so bezeichnete Yves Mersch, Mitglied des EZB-Direktoriums, es als "gedruckte Privatsphäre", und im Beschluss zum Phase-out des Fünfhunderters bekennt sie sich auch explizit zum Erhalt der Hunderter und Zweihunderter. Das Bargeld bleibt also. "Und basta".