From cb7fe4a67b9d686a99b9e3e7a7e74f443bddd448 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Klaus-Uwe Mitterer Date: Fri, 17 Feb 2017 00:19:56 +0100 Subject: [PATCH] Bargeld und Geschwurbel --- posts/bargeld-und-geschwurbel.md | 117 +++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 117 insertions(+) create mode 100644 posts/bargeld-und-geschwurbel.md diff --git a/posts/bargeld-und-geschwurbel.md b/posts/bargeld-und-geschwurbel.md new file mode 100644 index 0000000..77bfe6e --- /dev/null +++ b/posts/bargeld-und-geschwurbel.md @@ -0,0 +1,117 @@ +--- +title: 'Bargeld und Geschwurbel' +date: '2017-02-14' +description: +tags: ['Bankomat', 'Bargeld', 'Belgien', 'Einkauf', 'EU', 'EZB', 'Finnland', 'Gebühr', 'Geldwäsche', 'Irland', 'Karte', 'Kartenzahlungen', 'Kreditkarte', 'Kriminelle', 'Münzen', 'Niederlande', 'Noten', 'Organisation', 'Regierung', 'Scheine', 'Schweiz', 'Staat', 'Transaktion', 'Währung', 'Wert', 'Zahlungsmittel'] +--- +["Bargeld abschaffen?"](http://blog.davidschlegl.at/bargeld-abschaffen/) - Diese +Frage wird in einem Artikel gestellt, der vor einigen Tagen an dieser Stelle +veröffentlicht wurde. Die viel wichtigere Frage, die leider unbeantwortet +bleibt, lautet allerdings: Wie kommt man überhaupt erst auf die Idee, dass +jemand das Bargeld abschaffen will? Immerhin ist es die einfachste und +unbürokratischste Möglichkeit, kleine Transaktionen abzuwickeln. + +Tatsächlich geistert der Mythos, irgendjemand - die EU, die Grünen, die +Illuminaten - wolle Münzen und Scheine aus dem Verkehr ziehen, damit nur noch +mit Karte gezahlt werden könne, immer wieder einmal durch die sozialen Medien, +allerdings in ähnlichen Kreisen, in denen auch vor Gedankenmanipulation durch +Flugzeug-Kondensstreifen gewarnt und behauptet wird, die Bundesrepublik +Deutschland sei eine GmbH. + +Meistens ist es einer von zwei Anlässen, nach denen solche Gerüchte gestreut +werden. Zunächst wäre da die Diskussion über die Abschaffung von Ein- und +Zwei-Cent-Münzen. 2013 stellte EU-Währungskommissar Olli Rehn fest, dass die +Produktionskosten dieser Münzen ihren Wert übersteigen. Dabei sind sie aber auch +die Münzen, von denen die meisten Exemplare angefertigt werden müssen - sie +machen, Stand Dezember 2016, gemeinsam etwa 48% der Umlaufmenge an Euromünzen +aus, aber nur drei Prozent des Gesamtwerts. Die Herstellung ist also ein enormes +Verlustgeschäft. + +Zugleich hält sich der Nutzen dieser Münzen in sehr engen Grenzen. Kaum jemand +würde sich wohl um eine Ein-Cent-Münze bücken, wenn er sie auf der Straße +herumliegen sähe. Die im erwähnten Artikel aufgestellte These, die aktuelle +Irrelevanz dieser Münzen habe irgendetwas mit der Inflation zu tun, ist dabei +natürlich völlig aus der Luft gegriffen - damit die Inflation auf den Wert so +kleiner Denominationen einen spürbaren Einfluss hätte, müsste sie seit der +Einführung der Münzen mehrere hundert Prozent betragen. Vielmehr haben diese +Münzen niemals einen Sinn gehabt. Finnland hat das erkannt und von Beginn an auf +die Ausgabe von Ein- und Zwei-Cent-Münzen verzichtet. + +Auch in den Niederlanden (seit 2004) und Irland (seit 2015) werden diese Münzen +nicht mehr verwendet und Kaufbeträge entsprechend auf- oder abgerundet. In +Belgien können Unternehmen seit 2014 freiwillig dasselbe System anwenden. Und +das hat für sie natürlich auch Vorteile: Immerhin verlangen Banken durchaus hohe +Gebühren für Münzeinzahlungen, die sich bei großen Mengen an relativ wertlosen +Münzen sehr schnell summieren. Wie solche Überlegungen allerdings dazu führen, +dass Menschen um ihr Bargeld bangen? Schwer zu sagen. + +Auch aktuell wird gerne wieder der Teufel der Bargeldabschaffung an die Wand +gemalt. Hintergrund: Das Auslaufen der 500-Euro-Scheine, von denen seit 2014 +keine neuen Exemplare mehr gedruckt werden. Begründet wird dies gerne damit, +dass die großen Scheine hauptsächlich zum Zwecke der Geldwäsche verwendet +werden. Ganz schlüssig ist diese Argumentation nicht, denn was genau Kriminelle +davon abhalten soll, stattdessen eben kleinere Scheine oder andere Währungen +oder Zahlungsmittel zu verwenden, wird nicht wirklich erklärt. Jedenfalls +schätzte die britische Regierung im Jahr 2013, dass 90% der dort im Umlauf +befindlichen Fünfhunderter im Besitz von kriminellen Organisationen seien. + +Die Frage, ob die Existenz dieser violetten Noten irgendeinen Mehrwert mit sich +bringt, ist wohl ohnehin zu verneinen. Für alltägliche Einkäufe und dergleichen +sind sie absolut unbrauchbar, weil viel zu groß, und größere Geschäfte werden +heutzutage schon aus Sicherheitsgründen anders abgewickelt. Das spiegelt sich +auch darin wider, dass kaum eine andere Währung über vergleichbar große +Stückelungen verfügt. Einzig die Schweiz mit ihrem Tausend-Franken-Schein dürfte +unseren Fünfhunderter noch im Wert übertreffen. Gäbe es diese Scheine nicht, +würde auch niemand ihre Einführung fordern; dass in der neuen Generation der +Euro-Noten darauf verzichtet wird, ist nun wirklich kein Skandal. + +Dabei verlieren die alten Noten keinesfalls ihren Wert - gemeinsam mit den +anderen Scheinen der alten Serie bleiben sie noch jahrelang als Zahlungsmittel +gültig und können danach auch zeitlich unbegrenzt umgetauscht werden. Wer seine +Polster gern mit großen Scheinen ausstopft, wird dies also weiterhin bedenkenlos +tun können. Und wer darauf besteht, sein Auto unbedingt mit Bargeld kaufen zu +müssen, muss eben ein paar Scheine mehr einpacken. + +Im zitierten Artikel werden nebenbei auch noch andere Themen angeschnitten - die +Transaktionsgebühren für Kartenzahlungen, die auf Produktpreise zugeschlagen +werden, beispielsweise. Unerfindlich, woher die dort erwähnten "3-5 Prozente" +kommen sollen - übliche Gebühren für Kreditkartenzahlungen liegen heute unter +zwei Prozent, für Bankomatkartenzahlungen sogar teils weit unter einem Prozent. +Und dabei wird auch ignoriert, dass der Umgang mit Bargeld ebenso Kosten und +Risiken verursacht, wodurch sich die Gebühren für Kartentransaktionen +relativieren. + +"Einheitliche und klare Spielregeln" werden gefordert, falls das Bargeld +tatsächlich abgeschafft werde, damit wir nicht zu gläsernen Menschen werden. +"Die EU oder der Staat" können diese Regeln allerdings nicht erfolgreich +festlegen - das sei, ohne nähere Begründung, "von Beginn an klar". Dieselbe EU, +die mit der Datenschutzgrundverordnung endlich ein einheitliches Schutzniveau in +Europa geschaffen hat, oder durch die EZB überhaupt den Geldverkehr steuert. +Letztere wird kritisiert, weil ihre Niedrigzinspolitik dazu führe, dass niemand +mehr Bargeld haben wolle. Dabei ist eine Niedrig- oder gar Negativzinsumgebung +erst ein Anreiz dazu, Geld aus den Banken zu nehmen oder gar Kredite aufzunehmen +um Investitionen zu tätigen - bei hohen Zinsen würde es sich ja stattdessen +rentieren, Geld am Konto zu haben. + +Auch im restlichen Beitrag wird viel geschwurbelt - im einen Satz sollen +Leasingverträge "so um die 5-10 Prozent" teurer als Barzahlungen sein, im +nächsten wird festgestellt, dass "Produkte heutzutage sogar für Barzahler teurer +als mit Leasingverträgen" seien. Und es werden mehr Behauptungen ohne jeden +Beleg in den Raum gestellt, etwa, dass man in einer Woche beim Einkaufen 10 Euro +verliere, wenn man das Wechselgeld nicht prüfe, was natürlich jeder +faktischen Grundlage entbehrt. Außerdem wird kritisiert, dass etwa Fahrscheine +online nur mit Kreditkarte gekauft werden können - dabei steigt allgemein die +Akzeptanz von Online-Überweisungen, bekannt unter Namen wie EPS, +SOFORT-Überweisung oder Skrill. Und dann gibt es da noch anonyme Zahlungsmittel, +von Prepaid-Kreditkarten bis zu Bitcoin, die überhaupt unerwähnt bleiben. + +Von der Vorbereitung einer bargeldlosen Gesellschaft seitens der Eurozone mag +indes überhaupt keine Rede sein. Stattdessen wird in neue, beständigere und +fälschungssicherere Noten investiert. Die Fünf-, Zehn- und Zwanzig-Euro-Scheine +der zweiten Serie sind bereits im Umlauf, ab kommenden April werden die neuen +Fünfziger ausgegeben, Hunderter und Zweihunderter folgen 2018. Und die Relevanz +des Bargelds ist auch der Europäischen Zentralbank mehr als bewusst, so +bezeichnete Yves Mersch, Mitglied des EZB-Direktoriums, es als "gedruckte +Privatsphäre", und im Beschluss zum Phase-out des Fünfhunderters bekennt sie +sich auch explizit zum Erhalt der Hunderter und Zweihunderter. Das Bargeld +bleibt also. "Und basta".