From 1eb7968139666f17afb71a7ac620ff8b8391b685 Mon Sep 17 00:00:00 2001 From: Klaus-Uwe Mitterer Date: Fri, 17 Feb 2017 00:17:31 +0100 Subject: [PATCH] Sicherheit und Freiheit --- posts/sicherheit-und-freiheit.md | 112 +++++++++++++++++++++++++++++++ 1 file changed, 112 insertions(+) create mode 100644 posts/sicherheit-und-freiheit.md diff --git a/posts/sicherheit-und-freiheit.md b/posts/sicherheit-und-freiheit.md new file mode 100644 index 0000000..f995d07 --- /dev/null +++ b/posts/sicherheit-und-freiheit.md @@ -0,0 +1,112 @@ +--- +title: 'Sicherheit und Freiheit' +date: '2017-02-06' +description: +tags: ['Anschlag', 'Bundesheer', 'Daten', 'Datenschutz', 'Demokratie', 'EU', 'EUGH', 'Europa', 'Europäischen Gerichtshof', 'Freiheit', 'Fußfessel', 'Generalverdacht', 'Gesetz', 'Grenze', 'Grenzkontrolle', 'Handywertkarte', 'Information', 'Meinungsfreiheit', 'Nachrichten', 'Österreich', 'Politik', 'Polizei', 'Privatsphäre', 'Regierung', 'Scheinlösung', 'Sozialstaat', 'Trojaner', 'Überwachung', 'Urheberrechtsverletzung', 'Verfassungsgerichtshof', 'VfGH', 'Vorratsdatenspeicherung'] +--- +Wenn man die Medien verfolgt, mag man beinahe den Eindruck gewinnen, als würde +ringsum die Welt im Chaos versinken. Die Geschehnisse in der Ukraine. Die +Nachwehen des Arabischen Frühlings. Großbritannien tritt aus der EU aus, das +EU-freundliche Schottland könnte sich in einem zweiten Anlauf nun doch von den +Engländern lossagen. Rechtsextremistische Ideologien werden wieder salonfähig, +Neonazis marschieren unter Bezeichnungen wie „PEGIDA“ und „Identitäre Bewegung“ +in den Städten auf, und im Weißen Haus sitzt ein populistischer +frauenfeindlicher islamophober menschenverachtender Egomane mit gewissen +Komplexen bezüglich der Größe seiner Hände. Und nicht zuletzt gibt es da +natürlich auch noch den „Islamischen Staat“, kurz IS, mit seinen Bestrebungen, +ein globales „Kalifat“ zu errichten, der mit Terroranschlägen die Welt in Angst +und Schrecken versetzt. Noch nie, so zumindest das subjektive Gefühl, gab es in +Europa mehr terroristische Aktivitäten als heute. + +![Statistik Terrorismus](https://kumi.website/files/img/terrorism20161219.png) + +Dass das nicht der Wahrheit entspricht, zeigt sich, wenn man sich die Daten +ansieht. Der jüngeren Generation sind RAF, IRA und ETA freilich kaum noch ein +Begriff, und auch aus dem Gedächtnis jener, die alt genug sind um es erlebt zu +haben, scheinen Ereignisse wie der Bombenanschlag auf Pan-Am 103 über Lockerbie +inzwischen verschwunden zu sein. Das mag auch daran liegen, dass wir heute mit +Informationen überflutet werden, immer und überall hautnah dabei sind: +Vergangen, die Zeiten, als Nachrichten des Abends im Fernsehen verlesen oder +morgens der Zeitung entnommen wurden. Kaum fällt heute in China ein Sack Reis +um, sind zwanzig Kamerateams vor Ort und berichten live. Und nicht alles, was +sie zu wissen glauben, entspricht der Wahrheit: Unverifizierbare Gerüchte auf +Facebook und Twitter finden ihren Weg in diese Berichte. Denn das Volk will +unterhalten werden, will wissen, was auf der Welt passiert, und zwar sofort. +Es will Sensationen, die bringen Quote. Und Quote bringt Werbeeinahmen, ohne die +man ein Nachrichtenmedium schwerlich betreiben kann. Dass da die Fakten oft auf +der Strecke bleiben, ist kaum weiter verwunderlich. + +Zugegeben, in Zeiten wie diesen hat man es nicht ganz leicht als PolitikerIn. +Das Volk hat Angst, flüchtet sich zu Rechtspopulisten, die einfache Antworten +auf die Probleme der Zeit zu haben scheinen. Ausländer raus, Grenzen dicht, +basta. Dass die Regierung da nicht immer einen kühlen Kopf behält und manchmal +auch undurchdachte Ideen ausgesprochen werden – geschenkt. Gefährlich wird es, +wenn man sich auf diese Ideen einlässt und sie sich selbst zueigen macht, in der +irrigen Annahme, damit den Rechten das Wasser abzugraben. Irgendwo hat man mal +aufgeschnappt, dass man Feuer mit Feuer bekämpfen kann, aber nicht mitbekommen, +dass damit ein Gegenfeuer gemeint ist. Stattdessen schüttet man Öl hinein und +wundert sich, dass es immer stärker wütet. Und die WählerInnen treibt man mit +dieser Strategie immer mehr in die Arme von FPÖ, AfD, Front National, etc. Die +haben es ja immer schon gewusst. + +Gerade nach schrecklichen Ereignissen neigen EntscheidungsträgerInnen dazu, die +Sicherheit erhöhen zu wollen, indem sie die Freiheit einschränken. International +besonders bemerkenswert ist da natürlich der USA PATRIOT Act, jenes +US-amerikanische Gesetz, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im +Eiltempo, nämlich innerhalb von anderthalb Monaten, verabschiedet wurde und in +dem NSA, CIA und FBI weitreichende Rechte eingeräumt wurden, die sie, wie wir +spätestens seit Edward Snowden heute wissen, für zweifelhafte Zwecke eingesetzt +haben. + +Auch in Österreich gibt es gewichtige Stimmen, die meinen, Sicherheit mit +Freiheit kaufen zu können. „Stakkatoartig“ nennt Michael Matzenberger in einem +Artikel auf derStandard.at den Rhythmus, in dem Innenminister Wolfgang Sobotka, +ÖVP, seine Überwachungsideen präsentiert, und seine KollegInnen aus beiden +Regierungsparteien haben auch „tolle“ Ideen. „In allen Fragen – in allen +Fragen! – eine lückenlose Überwachung“, will Sobotka. + +Die Vorratsdatenspeicherung – zuvor vom Verfassungsgerichtshof wie auch vom +Europäischen Gerichtshof für unzulässig erklärt – soll wieder eingeführt werden. +„Verdächtige“ sollen Fußfesseln bekommen, ihre Telefone abgehört werden – auch, +wenn sie noch gar nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. +Transportunternehmen sollen den Aufenthaltsstatus ihrer Fahrgäste +kontrollieren – und zwar nicht nur bei Fahrten über die Grenze. Auf alle +Überwachungskameras Österreichs will er zentral zugreifen können. Die ASFINAG +soll Autokennzeichen erfassen. Grenzkontrollen sollen ausgeweitet werden. +Handywertkarten sollen nicht mehr anonym sein. Wer nach Österreich einreist, +soll durch Iris- und Venenscans biometrisch erfasst werden. Computer sollen mit +einem Trojaner überwacht werden können, übrigens nicht nur bei Verdacht auf +schwere Straftaten, sondern etwa auch gegen Urheberrechtsverletzungen und +Hasspostings. Und weil die Polizei damit viel zusätzliche Arbeit hat, kann man +ja zum Ausgleich das Bundesheer – eigentlich zur Verteidigung gegen äußere +Bedrohungen geschaffen – auch im Inneren einsetzen. + +Die Grundannahme hinter solchen Ideen: Wenn wir mehr Daten haben, fällt es uns +leichter, potenzielle Gefährder zu finden, zu verfolgen und aufzuhalten. Was +zunächst ja durchaus logisch klingt, wird aber durch eine Tatsache relativiert, +die oft verschwiegen wird und wir auch gerne vergessen: Alle terroristischen +Anschläge, die in letzter Zeit in Europa stattgefunden haben, wurden von +amtsbekannten Gefährdern begangen – von der Anschlagsserie in Paris bis zum +Berliner Weihnachtsmarkt. Es fehlen schon die Ressourcen, um hier effektiv +einzugreifen. Die Strategie der Regierung, um die sprichwörtliche Nadel im +Heuhaufen zu finden, ist offenbar, immer mehr Heu draufzuwerfen und das Beste zu +hoffen. + +„Datenschutz […] ist Verbrecherschutz“, so Sobotka. Das alte Argument: Wer +nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Aber nicht nur, dass damit +alle Menschen unter Generalverdacht gestellt werden – wer garantiert, dass +gesammelte Daten nicht missbräuchlich verwendet werden? Und da ist nicht nur an +Hacker oder korrupte Beamte zu denken. Wie schnell Demokratien faschistische +Züge annehmen, sieht man nicht nur in der Türkei, wo regelmäßig Menschen wegen +Beleidigung des Präsidenten vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Wer die +Privatsphäre einschränkt, zensuriert. Und wo die Meinungsfreiheit stirbt, stirbt +die Demokratie. + +„Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary +Safety, deserve neither Liberty nor Safety.“, meinte schon Benjamin Franklin. +Ein Satz, den sich manche zu Herzen nehmen sollten. Und solange die Politik auf +populistische Scheinlösungen setzt anstatt einen kühlen Kopf zu bewahren und +sich mit den echten Problemen der Zeit zu beschäftigen – ein kaputtes +Bildungssystem, ein nicht-zukunftsfähiger Sozialstaat, die Schere zwischen Arm +und Reich – müssen wir uns nicht wundern, dass das Vertrauen in die Politik +nicht gerade im Steigen begriffen ist.