Kumis Hirnkotze Kumis Hirnkotze 2017-02-16 Bargeld und Geschwurbel /posts/bargeld-und-geschwurbel 2017-02-15 <p><a href="http://blog.davidschlegl.at/bargeld-abschaffen/">&quot;Bargeld abschaffen?&quot;</a> - Diese Frage wird in einem Artikel gestellt, der vor einigen Tagen an dieser Stelle veröffentlicht wurde. Die viel wichtigere Frage, die leider unbeantwortet bleibt, lautet allerdings: Wie kommt man überhaupt erst auf die Idee, dass jemand das Bargeld abschaffen will? Immerhin ist es die einfachste und unbürokratischste Möglichkeit, kleine Transaktionen abzuwickeln.</p> <p>Tatsächlich geistert der Mythos, irgendjemand - die EU, die Grünen, die Illuminaten - wolle Münzen und Scheine aus dem Verkehr ziehen, damit nur noch mit Karte gezahlt werden könne, immer wieder einmal durch die sozialen Medien, allerdings in ähnlichen Kreisen, in denen auch vor Gedankenmanipulation durch Flugzeug-Kondensstreifen gewarnt und behauptet wird, die Bundesrepublik Deutschland sei eine GmbH.</p> <p>Meistens ist es einer von zwei Anlässen, nach denen solche Gerüchte gestreut werden. Zunächst wäre da die Diskussion über die Abschaffung von Ein- und Zwei-Cent-Münzen. 2013 stellte EU-Währungskommissar Olli Rehn fest, dass die Produktionskosten dieser Münzen ihren Wert übersteigen. Dabei sind sie aber auch die Münzen, von denen die meisten Exemplare angefertigt werden müssen - sie machen, Stand Dezember 2016, gemeinsam etwa 48% der Umlaufmenge an Euromünzen aus, aber nur drei Prozent des Gesamtwerts. Die Herstellung ist also ein enormes Verlustgeschäft.</p> <p>Zugleich hält sich der Nutzen dieser Münzen in sehr engen Grenzen. Kaum jemand würde sich wohl um eine Ein-Cent-Münze bücken, wenn er sie auf der Straße herumliegen sähe. Die im erwähnten Artikel aufgestellte These, die aktuelle Irrelevanz dieser Münzen habe irgendetwas mit der Inflation zu tun, ist dabei natürlich völlig aus der Luft gegriffen - damit die Inflation auf den Wert so kleiner Denominationen einen spürbaren Einfluss hätte, müsste sie seit der Einführung der Münzen mehrere hundert Prozent betragen. Vielmehr haben diese Münzen niemals einen Sinn gehabt. Finnland hat das erkannt und von Beginn an auf die Ausgabe von Ein- und Zwei-Cent-Münzen verzichtet.</p> <p>Auch in den Niederlanden (seit 2004) und Irland (seit 2015) werden diese Münzen nicht mehr verwendet und Kaufbeträge entsprechend auf- oder abgerundet. In Belgien können Unternehmen seit 2014 freiwillig dasselbe System anwenden. Und das hat für sie natürlich auch Vorteile: Immerhin verlangen Banken durchaus hohe Gebühren für Münzeinzahlungen, die sich bei großen Mengen an relativ wertlosen Münzen sehr schnell summieren. Wie solche Überlegungen allerdings dazu führen, dass Menschen um ihr Bargeld bangen? Schwer zu sagen.</p> <p>Auch aktuell wird gerne wieder der Teufel der Bargeldabschaffung an die Wand gemalt. Hintergrund: Das Auslaufen der 500-Euro-Scheine, von denen seit 2014 keine neuen Exemplare mehr gedruckt werden. Begründet wird dies gerne damit, dass die großen Scheine hauptsächlich zum Zwecke der Geldwäsche verwendet werden. Ganz schlüssig ist diese Argumentation nicht, denn was genau Kriminelle davon abhalten soll, stattdessen eben kleinere Scheine oder andere Währungen oder Zahlungsmittel zu verwenden, wird nicht wirklich erklärt. Jedenfalls schätzte die britische Regierung im Jahr 2013, dass 90% der dort im Umlauf befindlichen Fünfhunderter im Besitz von kriminellen Organisationen seien.</p> <p>Die Frage, ob die Existenz dieser violetten Noten irgendeinen Mehrwert mit sich bringt, ist wohl ohnehin zu verneinen. Für alltägliche Einkäufe und dergleichen sind sie absolut unbrauchbar, weil viel zu groß, und größere Geschäfte werden heutzutage schon aus Sicherheitsgründen anders abgewickelt. Das spiegelt sich auch darin wider, dass kaum eine andere Währung über vergleichbar große Stückelungen verfügt. Einzig die Schweiz mit ihrem Tausend-Franken-Schein dürfte unseren Fünfhunderter noch im Wert übertreffen. Gäbe es diese Scheine nicht, würde auch niemand ihre Einführung fordern; dass in der neuen Generation der Euro-Noten darauf verzichtet wird, ist nun wirklich kein Skandal.</p> <p>Dabei verlieren die alten Noten keinesfalls ihren Wert - gemeinsam mit den anderen Scheinen der alten Serie bleiben sie noch jahrelang als Zahlungsmittel gültig und können danach auch zeitlich unbegrenzt umgetauscht werden. Wer seine Polster gern mit großen Scheinen ausstopft, wird dies also weiterhin bedenkenlos tun können. Und wer darauf besteht, sein Auto unbedingt mit Bargeld kaufen zu müssen, muss eben ein paar Scheine mehr einpacken.</p> <p>Im zitierten Artikel werden nebenbei auch noch andere Themen angeschnitten - die Transaktionsgebühren für Kartenzahlungen, die auf Produktpreise zugeschlagen werden, beispielsweise. Unerfindlich, woher die dort erwähnten &quot;3-5 Prozente&quot; kommen sollen - übliche Gebühren für Kreditkartenzahlungen liegen heute unter zwei Prozent, für Bankomatkartenzahlungen sogar teils weit unter einem Prozent. Und dabei wird auch ignoriert, dass der Umgang mit Bargeld ebenso Kosten und Risiken verursacht, wodurch sich die Gebühren für Kartentransaktionen relativieren.</p> <p>&quot;Einheitliche und klare Spielregeln&quot; werden gefordert, falls das Bargeld tatsächlich abgeschafft werde, damit wir nicht zu gläsernen Menschen werden. &quot;Die EU oder der Staat&quot; können diese Regeln allerdings nicht erfolgreich festlegen - das sei, ohne nähere Begründung, &quot;von Beginn an klar&quot;. Dieselbe EU, die mit der Datenschutzgrundverordnung endlich ein einheitliches Schutzniveau in Europa geschaffen hat, oder durch die EZB überhaupt den Geldverkehr steuert. Letztere wird kritisiert, weil ihre Niedrigzinspolitik dazu führe, dass niemand mehr Bargeld haben wolle. Dabei ist eine Niedrig- oder gar Negativzinsumgebung erst ein Anreiz dazu, Geld aus den Banken zu nehmen oder gar Kredite aufzunehmen um Investitionen zu tätigen - bei hohen Zinsen würde es sich ja stattdessen rentieren, Geld am Konto zu haben.</p> <p>Auch im restlichen Beitrag wird viel geschwurbelt - im einen Satz sollen Leasingverträge &quot;so um die 5-10 Prozent&quot; teurer als Barzahlungen sein, im nächsten wird festgestellt, dass &quot;Produkte heutzutage sogar für Barzahler teurer als mit Leasingverträgen&quot; seien. Und es werden mehr Behauptungen ohne jeden Beleg in den Raum gestellt, etwa, dass man in einer Woche beim Einkaufen 10 Euro verliere, wenn man das Wechselgeld nicht prüfe, was natürlich jeder faktischen Grundlage entbehrt. Außerdem wird kritisiert, dass etwa Fahrscheine online nur mit Kreditkarte gekauft werden können - dabei steigt allgemein die Akzeptanz von Online-Überweisungen, bekannt unter Namen wie EPS, SOFORT-Überweisung oder Skrill. Und dann gibt es da noch anonyme Zahlungsmittel, von Prepaid-Kreditkarten bis zu Bitcoin, die überhaupt unerwähnt bleiben.</p> <p>Von der Vorbereitung einer bargeldlosen Gesellschaft seitens der Eurozone mag indes überhaupt keine Rede sein. Stattdessen wird in neue, beständigere und fälschungssicherere Noten investiert. Die Fünf-, Zehn- und Zwanzig-Euro-Scheine der zweiten Serie sind bereits im Umlauf, ab kommenden April werden die neuen Fünfziger ausgegeben, Hunderter und Zweihunderter folgen 2018. Und die Relevanz des Bargelds ist auch der Europäischen Zentralbank mehr als bewusst, so bezeichnete Yves Mersch, Mitglied des EZB-Direktoriums, es als &quot;gedruckte Privatsphäre&quot;, und im Beschluss zum Phase-out des Fünfhunderters bekennt sie sich auch explizit zum Erhalt der Hunderter und Zweihunderter. Das Bargeld bleibt also. &quot;Und basta&quot;.</p> Sicherheit und Freiheit /posts/sicherheit-und-freiheit 2017-02-06 <p>Wenn man die Medien verfolgt, mag man beinahe den Eindruck gewinnen, als würde ringsum die Welt im Chaos versinken. Die Geschehnisse in der Ukraine. Die Nachwehen des Arabischen Frühlings. Großbritannien tritt aus der EU aus, das EU-freundliche Schottland könnte sich in einem zweiten Anlauf nun doch von den Engländern lossagen. Rechtsextremistische Ideologien werden wieder salonfähig, Neonazis marschieren unter Bezeichnungen wie „PEGIDA“ und „Identitäre Bewegung“ in den Städten auf, und im Weißen Haus sitzt ein populistischer frauenfeindlicher islamophober menschenverachtender Egomane mit gewissen Komplexen bezüglich der Größe seiner Hände. Und nicht zuletzt gibt es da natürlich auch noch den „Islamischen Staat“, kurz IS, mit seinen Bestrebungen, ein globales „Kalifat“ zu errichten, der mit Terroranschlägen die Welt in Angst und Schrecken versetzt. Noch nie, so zumindest das subjektive Gefühl, gab es in Europa mehr terroristische Aktivitäten als heute.</p> <p><img src="https://kumi.website/files/img/terrorism20161219.png" alt="Statistik Terrorismus"></p> <p>Dass das nicht der Wahrheit entspricht, zeigt sich, wenn man sich die Daten ansieht. Der jüngeren Generation sind RAF, IRA und ETA freilich kaum noch ein Begriff, und auch aus dem Gedächtnis jener, die alt genug sind um es erlebt zu haben, scheinen Ereignisse wie der Bombenanschlag auf Pan-Am 103 über Lockerbie inzwischen verschwunden zu sein. Das mag auch daran liegen, dass wir heute mit Informationen überflutet werden, immer und überall hautnah dabei sind: Vergangen, die Zeiten, als Nachrichten des Abends im Fernsehen verlesen oder morgens der Zeitung entnommen wurden. Kaum fällt heute in China ein Sack Reis um, sind zwanzig Kamerateams vor Ort und berichten live. Und nicht alles, was sie zu wissen glauben, entspricht der Wahrheit: Unverifizierbare Gerüchte auf Facebook und Twitter finden ihren Weg in diese Berichte. Denn das Volk will unterhalten werden, will wissen, was auf der Welt passiert, und zwar sofort. Es will Sensationen, die bringen Quote. Und Quote bringt Werbeeinahmen, ohne die man ein Nachrichtenmedium schwerlich betreiben kann. Dass da die Fakten oft auf der Strecke bleiben, ist kaum weiter verwunderlich.</p> <p>Zugegeben, in Zeiten wie diesen hat man es nicht ganz leicht als PolitikerIn. Das Volk hat Angst, flüchtet sich zu Rechtspopulisten, die einfache Antworten auf die Probleme der Zeit zu haben scheinen. Ausländer raus, Grenzen dicht, basta. Dass die Regierung da nicht immer einen kühlen Kopf behält und manchmal auch undurchdachte Ideen ausgesprochen werden – geschenkt. Gefährlich wird es, wenn man sich auf diese Ideen einlässt und sie sich selbst zueigen macht, in der irrigen Annahme, damit den Rechten das Wasser abzugraben. Irgendwo hat man mal aufgeschnappt, dass man Feuer mit Feuer bekämpfen kann, aber nicht mitbekommen, dass damit ein Gegenfeuer gemeint ist. Stattdessen schüttet man Öl hinein und wundert sich, dass es immer stärker wütet. Und die WählerInnen treibt man mit dieser Strategie immer mehr in die Arme von FPÖ, AfD, Front National, etc. Die haben es ja immer schon gewusst.</p> <p>Gerade nach schrecklichen Ereignissen neigen EntscheidungsträgerInnen dazu, die Sicherheit erhöhen zu wollen, indem sie die Freiheit einschränken. International besonders bemerkenswert ist da natürlich der USA PATRIOT Act, jenes US-amerikanische Gesetz, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Eiltempo, nämlich innerhalb von anderthalb Monaten, verabschiedet wurde und in dem NSA, CIA und FBI weitreichende Rechte eingeräumt wurden, die sie, wie wir spätestens seit Edward Snowden heute wissen, für zweifelhafte Zwecke eingesetzt haben.</p> <p>Auch in Österreich gibt es gewichtige Stimmen, die meinen, Sicherheit mit Freiheit kaufen zu können. „Stakkatoartig“ nennt Michael Matzenberger in einem Artikel auf derStandard.at den Rhythmus, in dem Innenminister Wolfgang Sobotka, ÖVP, seine Überwachungsideen präsentiert, und seine KollegInnen aus beiden Regierungsparteien haben auch „tolle“ Ideen. „In allen Fragen – in allen Fragen! – eine lückenlose Überwachung“, will Sobotka.</p> <p>Die Vorratsdatenspeicherung – zuvor vom Verfassungsgerichtshof wie auch vom Europäischen Gerichtshof für unzulässig erklärt – soll wieder eingeführt werden. „Verdächtige“ sollen Fußfesseln bekommen, ihre Telefone abgehört werden – auch, wenn sie noch gar nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Transportunternehmen sollen den Aufenthaltsstatus ihrer Fahrgäste kontrollieren – und zwar nicht nur bei Fahrten über die Grenze. Auf alle Überwachungskameras Österreichs will er zentral zugreifen können. Die ASFINAG soll Autokennzeichen erfassen. Grenzkontrollen sollen ausgeweitet werden. Handywertkarten sollen nicht mehr anonym sein. Wer nach Österreich einreist, soll durch Iris- und Venenscans biometrisch erfasst werden. Computer sollen mit einem Trojaner überwacht werden können, übrigens nicht nur bei Verdacht auf schwere Straftaten, sondern etwa auch gegen Urheberrechtsverletzungen und Hasspostings. Und weil die Polizei damit viel zusätzliche Arbeit hat, kann man ja zum Ausgleich das Bundesheer – eigentlich zur Verteidigung gegen äußere Bedrohungen geschaffen – auch im Inneren einsetzen.</p> <p>Die Grundannahme hinter solchen Ideen: Wenn wir mehr Daten haben, fällt es uns leichter, potenzielle Gefährder zu finden, zu verfolgen und aufzuhalten. Was zunächst ja durchaus logisch klingt, wird aber durch eine Tatsache relativiert, die oft verschwiegen wird und wir auch gerne vergessen: Alle terroristischen Anschläge, die in letzter Zeit in Europa stattgefunden haben, wurden von amtsbekannten Gefährdern begangen – von der Anschlagsserie in Paris bis zum Berliner Weihnachtsmarkt. Es fehlen schon die Ressourcen, um hier effektiv einzugreifen. Die Strategie der Regierung, um die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden, ist offenbar, immer mehr Heu draufzuwerfen und das Beste zu hoffen.</p> <p>„Datenschutz […] ist Verbrecherschutz“, so Sobotka. Das alte Argument: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Aber nicht nur, dass damit alle Menschen unter Generalverdacht gestellt werden – wer garantiert, dass gesammelte Daten nicht missbräuchlich verwendet werden? Und da ist nicht nur an Hacker oder korrupte Beamte zu denken. Wie schnell Demokratien faschistische Züge annehmen, sieht man nicht nur in der Türkei, wo regelmäßig Menschen wegen Beleidigung des Präsidenten vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Wer die Privatsphäre einschränkt, zensuriert. Und wo die Meinungsfreiheit stirbt, stirbt die Demokratie.</p> <p>„Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.“, meinte schon Benjamin Franklin. Ein Satz, den sich manche zu Herzen nehmen sollten. Und solange die Politik auf populistische Scheinlösungen setzt anstatt einen kühlen Kopf zu bewahren und sich mit den echten Problemen der Zeit zu beschäftigen – ein kaputtes Bildungssystem, ein nicht-zukunftsfähiger Sozialstaat, die Schere zwischen Arm und Reich – müssen wir uns nicht wundern, dass das Vertrauen in die Politik nicht gerade im Steigen begriffen ist.</p>