2017-02-06

Dieser Artikel wurde für das Blog von David Schlegl erstellt. Der dort veröffentlichte Text kann abgeändert worden sein.

Wenn man die Medien verfolgt, mag man beinahe den Eindruck gewinnen, als würde ringsum die Welt im Chaos versinken. Die Geschehnisse in der Ukraine. Die Nachwehen des Arabischen Frühlings. Großbritannien tritt aus der EU aus, das EU-freundliche Schottland könnte sich in einem zweiten Anlauf nun doch von den Engländern lossagen. Rechtsextremistische Ideologien werden wieder salonfähig, Neonazis marschieren unter Bezeichnungen wie „PEGIDA“ und „Identitäre Bewegung“ in den Städten auf, und im Weißen Haus sitzt ein populistischer frauenfeindlicher islamophober menschenverachtender Egomane mit gewissen Komplexen bezüglich der Größe seiner Hände. Und nicht zuletzt gibt es da natürlich auch noch den „Islamischen Staat“, kurz IS, mit seinen Bestrebungen, ein globales „Kalifat“ zu errichten, der mit Terroranschlägen die Welt in Angst und Schrecken versetzt. Noch nie, so zumindest das subjektive Gefühl, gab es in Europa mehr terroristische Aktivitäten als heute.

Statistik Terrorismus

Dass das nicht der Wahrheit entspricht, zeigt sich, wenn man sich die Daten ansieht. Der jüngeren Generation sind RAF, IRA und ETA freilich kaum noch ein Begriff, und auch aus dem Gedächtnis jener, die alt genug sind um es erlebt zu haben, scheinen Ereignisse wie der Bombenanschlag auf Pan-Am 103 über Lockerbie inzwischen verschwunden zu sein. Das mag auch daran liegen, dass wir heute mit Informationen überflutet werden, immer und überall hautnah dabei sind: Vergangen, die Zeiten, als Nachrichten des Abends im Fernsehen verlesen oder morgens der Zeitung entnommen wurden. Kaum fällt heute in China ein Sack Reis um, sind zwanzig Kamerateams vor Ort und berichten live. Und nicht alles, was sie zu wissen glauben, entspricht der Wahrheit: Unverifizierbare Gerüchte auf Facebook und Twitter finden ihren Weg in diese Berichte. Denn das Volk will unterhalten werden, will wissen, was auf der Welt passiert, und zwar sofort. Es will Sensationen, die bringen Quote. Und Quote bringt Werbeeinahmen, ohne die man ein Nachrichtenmedium schwerlich betreiben kann. Dass da die Fakten oft auf der Strecke bleiben, ist kaum weiter verwunderlich.

Zugegeben, in Zeiten wie diesen hat man es nicht ganz leicht als PolitikerIn. Das Volk hat Angst, flüchtet sich zu Rechtspopulisten, die einfache Antworten auf die Probleme der Zeit zu haben scheinen. Ausländer raus, Grenzen dicht, basta. Dass die Regierung da nicht immer einen kühlen Kopf behält und manchmal auch undurchdachte Ideen ausgesprochen werden – geschenkt. Gefährlich wird es, wenn man sich auf diese Ideen einlässt und sie sich selbst zueigen macht, in der irrigen Annahme, damit den Rechten das Wasser abzugraben. Irgendwo hat man mal aufgeschnappt, dass man Feuer mit Feuer bekämpfen kann, aber nicht mitbekommen, dass damit ein Gegenfeuer gemeint ist. Stattdessen schüttet man Öl hinein und wundert sich, dass es immer stärker wütet. Und die WählerInnen treibt man mit dieser Strategie immer mehr in die Arme von FPÖ, AfD, Front National, etc. Die haben es ja immer schon gewusst.

Gerade nach schrecklichen Ereignissen neigen EntscheidungsträgerInnen dazu, die Sicherheit erhöhen zu wollen, indem sie die Freiheit einschränken. International besonders bemerkenswert ist da natürlich der USA PATRIOT Act, jenes US-amerikanische Gesetz, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 im Eiltempo, nämlich innerhalb von anderthalb Monaten, verabschiedet wurde und in dem NSA, CIA und FBI weitreichende Rechte eingeräumt wurden, die sie, wie wir spätestens seit Edward Snowden heute wissen, für zweifelhafte Zwecke eingesetzt haben.

Auch in Österreich gibt es gewichtige Stimmen, die meinen, Sicherheit mit Freiheit kaufen zu können. „Stakkatoartig“ nennt Michael Matzenberger in einem Artikel auf derStandard.at den Rhythmus, in dem Innenminister Wolfgang Sobotka, ÖVP, seine Überwachungsideen präsentiert, und seine KollegInnen aus beiden Regierungsparteien haben auch „tolle“ Ideen. „In allen Fragen – in allen Fragen! – eine lückenlose Überwachung“, will Sobotka.

Die Vorratsdatenspeicherung – zuvor vom Verfassungsgerichtshof wie auch vom Europäischen Gerichtshof für unzulässig erklärt – soll wieder eingeführt werden. „Verdächtige“ sollen Fußfesseln bekommen, ihre Telefone abgehört werden – auch, wenn sie noch gar nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Transportunternehmen sollen den Aufenthaltsstatus ihrer Fahrgäste kontrollieren – und zwar nicht nur bei Fahrten über die Grenze. Auf alle Überwachungskameras Österreichs will er zentral zugreifen können. Die ASFINAG soll Autokennzeichen erfassen. Grenzkontrollen sollen ausgeweitet werden. Handywertkarten sollen nicht mehr anonym sein. Wer nach Österreich einreist, soll durch Iris- und Venenscans biometrisch erfasst werden. Computer sollen mit einem Trojaner überwacht werden können, übrigens nicht nur bei Verdacht auf schwere Straftaten, sondern etwa auch gegen Urheberrechtsverletzungen und Hasspostings. Und weil die Polizei damit viel zusätzliche Arbeit hat, kann man ja zum Ausgleich das Bundesheer – eigentlich zur Verteidigung gegen äußere Bedrohungen geschaffen – auch im Inneren einsetzen.

Die Grundannahme hinter solchen Ideen: Wenn wir mehr Daten haben, fällt es uns leichter, potenzielle Gefährder zu finden, zu verfolgen und aufzuhalten. Was zunächst ja durchaus logisch klingt, wird aber durch eine Tatsache relativiert, die oft verschwiegen wird und wir auch gerne vergessen: Alle terroristischen Anschläge, die in letzter Zeit in Europa stattgefunden haben, wurden von amtsbekannten Gefährdern begangen – von der Anschlagsserie in Paris bis zum Berliner Weihnachtsmarkt. Es fehlen schon die Ressourcen, um hier effektiv einzugreifen. Die Strategie der Regierung, um die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden, ist offenbar, immer mehr Heu draufzuwerfen und das Beste zu hoffen.

„Datenschutz […] ist Verbrecherschutz“, so Sobotka. Das alte Argument: Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten. Aber nicht nur, dass damit alle Menschen unter Generalverdacht gestellt werden – wer garantiert, dass gesammelte Daten nicht missbräuchlich verwendet werden? Und da ist nicht nur an Hacker oder korrupte Beamte zu denken. Wie schnell Demokratien faschistische Züge annehmen, sieht man nicht nur in der Türkei, wo regelmäßig Menschen wegen Beleidigung des Präsidenten vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Wer die Privatsphäre einschränkt, zensuriert. Und wo die Meinungsfreiheit stirbt, stirbt die Demokratie.

„Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.“, meinte schon Benjamin Franklin. Ein Satz, den sich manche zu Herzen nehmen sollten. Und solange die Politik auf populistische Scheinlösungen setzt anstatt einen kühlen Kopf zu bewahren und sich mit den echten Problemen der Zeit zu beschäftigen – ein kaputtes Bildungssystem, ein nicht-zukunftsfähiger Sozialstaat, die Schere zwischen Arm und Reich – müssen wir uns nicht wundern, dass das Vertrauen in die Politik nicht gerade im Steigen begriffen ist.